Die Stadt Wien stoppt überraschend sämtliche Förderung ab 2027. Das ist existenzgefährdend für das Freie Radio in Wien. Wien droht Medienvielfalt, Medienbildung und ein Stück Demokratie zu verlieren.
NEOS-Stadträtin Bettina Emmerling streicht die MA13-Förderungen für ORANGE 94.0. Ein halbiertes Notbudget von 170.000 € konnte für 2026 nachverhandelt werden. Damit fehlen für das kommende Jahr 240.000€, was ca. 30 % des Gesamtbudgets von ORANGE 94.0 ausmacht. „Durch diese kurzfristige Förderkürzung und geplante Streichung durch Stadträtin Emmerling müssen wir 2026 einen Großteil des Teams kündigen und unsere Medienbildung massiv einschränken“, erklärt ORANGE 94.0 Geschäftsführerin Ulli Weish.
Die Konsequenz für ORANGE 94.0 ist verheerend. Die Kürzung hat kaskadenartige Auswirkungen. Durch den Verlust der Förderung der Stadt Wien, kann auch die Förderung des Nichtkommerziellen Rundfunkfonds (NKRF) auf Bundesebene nicht mehr in Anspruch genommen werden, da der notwendige Kofinanzierungsanteil fehlt.
Das Wiener Beteiligungsradio wird bisher hauptsächlich durch zwei Fördergeber finanziert: Einerseits der MA 13 für Bildung und Jugend der Stadt Wien und andererseits dem Nichtkommerziellen Rundfunkfonds der RTR. 2024 waren es je rund 390.000 €. 2026 kann das Freie Radio trotz der Förderkürzung durch die Stadt Wien noch in vollem Ausmaß Mittel der RTR NKRF abrufen. Sollte ORANGE 94.0 keine alternative Finanzierung finden, kann es ab 2027 auch keine Mittel aus dem NKRF mehr beantragen und der Betrieb müsste eingestellt werden.
Demokratie braucht Beteiligungsmedien
ORANGE 94.0 ist ein nichtkommerzielles Radio und sendet seit 1998 auf der Frequenz UKW 94.0 in und um Wien. Ein Grundprinzip Freier Radios ist der offene Zugang – interessierte Menschen können bei ORANGE 94.0 Radiomachen lernen und ihre eigene Sendung on air bringen. So ergibt sich eine breite Beteiligung von engagierten Personen und Organisationen. 2025 waren rund 850 Ehrenamtliche an der redaktionellen Gestaltung von täglich 24-Stunden-Radioprogramm in 22 Sprachen beteiligt. Die Vielfalt der Radiomachenden bei ORANGE 94.0 bezüglich Alter, Bildungsgrad und Sprachen repräsentiert die Wiener Bevölkerung so stark wie in keiner anderen Redaktion herkömmlicher Medien. Das spiegelt sich auch in den Themen, die bei ORANGE 94.0 zu hören sind, wider: Junge Aktivist:innen der sudanesischen Diaspora, die über Kunst und Krieg im Sudan sprechen, Volksschüler:innen, die über das Bett als ihren Lieblingsort sinnieren, eine Grußsendung speziell für Häftlinge in österreichischen Gefängnissen. Das Musikprogramm ist umfangreich, in vielen Musiksendungen finden junge Musiker:innen häufig ihr erstes Airplay. 2025 waren rund 7300 Personen als Gäste, Kooperationspartner:innen, Interviewpartner:innen am Programm beteiligt.
Vermittlung von Medienkompetenz in Zeiten von Desinformation
„Als Beteiligungsmedium ist Medienbildung und die Vermittlung von aktiver Medienkompetenz einer unserer Kernbereiche.“ betont Ulli Weish. In Zeiten von Polarisierung, Fakes News und KI generierten Fehlmeldungen sind Medienbildung und die Vermittlung Medienkompetenz wie sie bei ORANGE 94.0 geschieht, wichtiger denn je. ORANGE 94.0 bildete 2024 über 800 Menschen aller Altersgruppen mit Radio- und Podcastingkompetenzen aus.
„Viele Jugendliche verstehen erst, was Radio ist, wenn sie im Studio stehen, die Regler bedienen und mit Kopfhörern am Ohr ins Mikrofon sprechen“, so Mischa G. Hendel, Trainer bei ORANGE 94.0. Der Blick hinter die Kulissen der Medienproduktion und die Möglichkeit sich selbst im Radio zu hören, stärkt die Medienkompetenz und hat ein selbst ermächtigendes Moment. „ORANGE 94.0 bietet mehrsprachigen Gemeinschaften und oft übersehenen Gruppen in Wien eine Plattform, um sich zu erheben, ihre Vielfalt hörbar zu machen und durch Selbstermächtigung neue Perspektiven zu schaffen.“, erklärt simon INOU, ORANGE 94.0 Public Affairs. „ORANGE 94,0 ist ein Praxisraum für Diversität und Entwicklung. Fehler dürfen sein, wir lernen aus jeder Herausforderung und sind ein idealistisches Entwicklungslabor für Neues“, so simon INOU. ORANGE 94.0 erarbeitet für vulnerable Gruppen eigens abgestimmte Schulungskonzepte, beispielsweise für seheschwache und blinde Personen mit Freude an der Audioproduktion.
Gemeinnützigen und nichtkommerziellen Journalismus fördern
Kurz zum Hintergrund: Die Lizenz für die Sendefrequenz UKW 94.0, die bis 2031 reicht, ist an Werbefreiheit und Nichtkommerzialität gebunden. Es besteht ein Strukturdilemma für Freien Rundfunk. Viele Journalismus- und Innovationsförderungen sind auf privatwirtschaftliche Geschäftsmodelle mit Gewinnorientierung ausgerichtet und nicht auf gemeinnützigen Journalismus. Da für diese Einreichungen bis zu 50 % Kofinanzierungsanteil benötigt werden, sind nichtkommerzielle Medien wie ORANGE 94.0 von Förderungen wie diesen strukturell ausgeschlossen.
Wofür ORANGE 94.0 Fördergelder verwendet
Beteiligung braucht Organisation; Organisation braucht Finanzierung: 2026 liegt der Finanzierungsbedarf bei 810.000 €, um den Betrieb in der jetzigen Form fortzuführen. Das Team der 14 Teilzeitangestellten koordiniert das ehrenamtliche Radioengagement von rund 850 Radiomachenden. Derzeit sind mehr als 220 Sendereihen im Programm. ORANGE 94.0 organisiert Workshops und hält das Radio technisch am Laufen. Studio und Sendeanlage machen Fixkosten von 110.000 € aus. ORANGE 94.0 ist ein Open Source Betrieb und entwickelt gemeinsam mit weiteren Radios in Österreich eine neue offene Software für den Nichtkommerziellen Radiobetrieb. All das scheint nun unsicher. „ORANGE 94.0 ist eine Bastion für Meinungsvielfalt und ein echtes Soziales Medium weit über die Stadtgrenzen hinaus“, so Ulli Weish. Die Radiomacher:innen hoffen auf eine Lösung mit Wien und loten derzeit alle Möglichkeiten aus, um den Fortbestand von ORANGE 94.0 auch über 2026 hinaus zu ermöglichen und fordern die Stadt Wien auf, ORANGE 94.0 als demokratiepolitisches Beteiligungsmedium für die Zukunft zu erhalten.